Reach Out I’ll Be There

Ich wurde zitiert. Das ist an sich eine schöne Sache, denn das heißt, dass mindestens eine Person meine Texte liest (Danke, amore!). Doch ich wurde zitiert, und der Textfetzen wurde aus dem Zusammenhang gerissen. Nicht weiter schlimm, allen großen Literaten passiert das (Octopussy und ich kichern beim Schreiben des letzten Halbsatzes … »Ghettofaust!« sagt er,  aber ich kann mich für keinen der acht Arme entscheiden und lasse die geballte Hand wieder sinken).

Dass all das Wünschen manchmal nichts verändern kann, hatte ich geschrieben. Ich hab dann nochmal eine Nacht lang drüber nachgedacht (solange Kraken keine nächtliche Ausgangssperre haben, kann ich eh nicht schlafen): Wir sind keine Prinzessinnen und Prinzen, die in die Hände klatschen, und dann ist der Tisch gedeckt (Ich hab versucht, das meinem Sohn anzutrainieren, aber da passiert gar nichts, wenn ich in die Hände klatsche …). Es gibt keinen Flaschengeist, keine bezaubernde Jeannie, keine gute Fee. Keiner da, der alles wieder gut machen kann.

Now if you feel that you can’t go on
Because all of your hope is gone
And your life’s filled with much confusion
Until happiness is just an illusion
And your whole world is crumbling down

Fast hätte ich mir selbst geglaubt, aber in echt ist es viel besser.

Darling, reach out for me
I’ll be there

Der geneigte Lesende hat einen Eindruck gewonnen, wie ich mit der Tatsache umgehe, dass ich eine Krankheit habe, die bisher als unheilbar gilt und die sich mehr oder weniger schleichend verschlechtern wird. Ich habe viel Zuspruch und fast schon Komplimente dafür erhalten, wie unerschütterlich optimistisch ich trotz allem bin. (Das halte ich allerdings für ganz schön verrückt, denn so viele Alternativen gibt es ja nicht. Klar, ich kann auch zur verbitterten Frau werden, aber das macht Falten, und das, bitte, ist doch nicht schön.)

You feel alone, you’re about to give up
Cause you’re best just ain’t good enough
And you feel that the world is running cold
And you’re drifting around on your own
And you need a hand to hold
Darling, darling
Reach out for me

Meinen ultimativen Vier-Punkte-Plan, den ich kürzlich aus Gründen gegen andernfalls garantiertes Durchdrehen aufgestellt habe, mache ich hiermit öffentlich zugänglich:
1. Den Feind kennen.
Die Bücher über Parkinson und Kraken stapeln sich in meinem Zimmer: Ich sammle möglichst viel Wissen über meine Krankheit, um einschätzen zu können, ob ich zu Recht kleine/mittlere/große Angst habe. Ich würde ja behaupten, dass ich alles über Parkinson lese, aber das stimmt nicht ganz …*

2. Den Feind bekämpfen
Studien, Homöopathie, Therapien, Beratungen: Die Offenheit bezüglich meiner Krankheit hat mir viele wertvolle Kontakte beschert, und ich nehme alles mit. Wer heilt, hat Recht.

3. Der schwierigste Punkt: Auf mich achten
Leicht: Musik hören, köstliche Speisen zubereiten und ausschließlich Bio-Ware verarbeiten, unvernünftige Geldbeträge für Klamotten und Lakritze ausgeben
Unendlich schwer: Pausen machen

4. Ich bin nicht meine Gefühle.
Wann immer es möglich ist, entscheide ich mich gegen das Hadern, gegen die Angst, gegen die Unsicherheit, gegen den Kontrollverlust.*

Well I can tell by the way you hang your head
That you’re without love now and you’re afraid
And through the tears you would look around
But there’s no peace of mind to be found

Mein Flaschengeist bin ich also selbst. (Und wenn ich möchte, dass der Tisch gedeckt wird, klatsche ich nicht in die Hände, sondern frage meinen Sohn, ob er das übernehmen kann. Das ist eine zugegebenermaßen progressive und gleichermaßen erfolgreiche Methode.)

But I know what you’re thinking
You’re alone now, the love of your own
Darling, darling, darling

* Und dann gibt es noch den 5. Punkt im Vier-Punkte-Plan:
5. Auf Unterstützung vertrauen
Der Tag meiner Diagnose jährte sich vor zwei Wochen zum zweiten Mal. Ich hatte eine Freundin um Geleit nach Tübingen gebeten, und sie hatte ohne zu zögern den Fahrdienst zugesagt. Unter ihrem besorgtem Blick setzte ich, an der Anmeldung der Uniklinik angekommen, Würmchen unter die Aufnahmeformulare, weil ich nicht mehr schreiben konnte. Wir haben Witze darüber gemacht, und ich war ausgesprochen dankbar, das nicht alleine durchstehen zu müssen (Danke, amore!).
Wenn ich neue Informationen über meine Erkrankung erhalte, »lasse ich lesen« und bin sehr froh, dass der Mann an meiner Seite bereit ist, mir eine Zusammenfassung vorzutragen, wenn ich ihn darum bitte.
Wenn ich mich an schlechten Tagen kaum bewegen kann, gibt es Supermarktkassiererinnen, die mir die Einkäufe in die Taschen packen.

Reach out for me
I’ll be there

Vielleicht kann »all das Wünschen manchmal nichts verändern«.
Wenn aber die Grenze zwischen positiv denken und schön reden verschwimmt, und wir drohen von der Unsicherheit übermannt zu werden, können wir darauf vertrauen, dass uns statt Fabelwesen Menschen begleiten, deren Zugewandtheit und Verständnis unendlich groß ist.
Denn manchmal kann man nichts anderes tun, als die Kacke zusammen durchzustehen.

You can always depend on me
I’ll be there

Reach Out I’ll Be There | Jonathan Wilson
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