I’d rather dance with you …

Heute habe ich P* getroffen. Unsere Kinder haben zusammen den selben Kindergarten besucht, und ab und zu laufen wir uns im Viertel über den Weg. Und A* bin ich einige Tage zuvor begegnet. Wir waren sehr eng befreundet, noch in dieser pergamentdünnen, zarten Zeit zwischen Abitur und Studium, in der wir alle den geregelten Schultag eintauschen wollten in irgendetwas, was wir »wirklich machen wollen«, ohne auch nur zu ahnen, was das sein wird. Und etwa eine Woche zuvor lief mir Frau F* über den Weg, die zwei, drei Jahre mit ihrer Kollegin oder Freundin oder Schwägerin (die genauen Verhältnisse konnte ich nie entschlüsseln) bei mir saubergemacht hat.

Drei Begegnungen mit P*,  A*, Frau F* (kurz: PAFF haha!), die keine waren. Weil ich auf die andere Straßenseite gesehen habe, Millisekunden nach Erkennen der jeweiligen Frau.

I’d rather dance with you than talk with you

Trotz der großen Offenheit, die ich für den Umgang mit meinem neuen Leben gewählt habe, gibt es Tage, an denen ich mich solchen Begegnungen nicht gewachsen fühle. Situationen, in denen ich mir wünschte, meine geliebten Kopfhörer würden mein komplettes Gesicht abdecken und die daraus herausströmende Musik könnte meinen Körper umhüllen wie eine überdimensionale gläserne Blase. Einzige Art der Verständigung mit Personen auf der anderen Seite der Blase wären dann Handzeichen und der Versuch mit übertriebener Mimik, aber ohne Stimme zu signalisieren »ICH VER-STE-HE DICH LEI-DER NICHT«. Eine Blase, die mich abschirmt und davor bewahrt sagen zu müssen, wie es mir geht.

Even if I could hear what you said
I doubt my reply would be interesting for you to hear

Sich zurückzuziehen ist bei Parkinson wohl eine typische Verhaltensweise. Je nach Ausprägung weist man im Krankheitsverlauf verstärkt Symptome auf, die nach und nach für das Umfeld sichtbar werden … und große Unsicherheiten auslösen. Für viele Erkrankte ist der Rückzug wohl die einfachste Lösung. Ich kann von Glück sagen, dass das bei mir anders ist. Mein soziales Umfeld ist mir wohlwollend zugewandt und meine bunt durchwürfelte Familie stärkt mir bedingungslos den Rücken – selbst, wenn ich mich isolieren wollte, würde mir das nicht einmal im Ansatz gelingen. Wo liegt also der Hase im Pfeffer?

Because I haven’t read a single book all year

Wenn wir Menschen aus früheren Lebensabschnitten treffen, mit denen wir damals eine gute Zeit hatten, sollte der Moment des Wiedersehens ein freudiger sein – Luftschlangen, Girlanden, knallende Sektkorken. Doch was antwortet man in diesem Augenblick auf die Frage »Wie geht es dir?«, wenn man gerade aus der Reha oder vom Arzt kommt und ein unsichtbarer Krake sich mal wieder schmerzhaft am rechten Bein angesaugt hat. Mit dem Blick auf die andere Straßenseite entziehen wir uns der Entscheidung zwischen ehrlich-offenen Worten, die meistens schockieren und raffiniert-unehrlichen Formulierungen, die genauso gut verschwiegen werden könnten, weil sie inhaltsleer sind; wir entziehen uns der Befürchtung, dass den anderen unser Befinden gar nicht ehrlich interessieren könnte; und in meinem speziellen Fall entziehe ich mich einer zusätzlichen Auseinandersetzung mit meinem persönlichen Monster: Seine Omnipräsenz an solchen Tagen ist völlig ausreichend – das Biest braucht keine weitere Aufmerksamkeit.

And the only film I saw, I didn’t like it at all

Meine Diagnose ist jetzt gerade mal ein halbes Jahr her: Das ist kein besonders langer Zeitraum, aber doch so viel Zeit, um schon ganz wundervolle zwischenmenschliche Erfahrungen gemacht zu haben – mit den Freunden, die mich im Alltäglichen begleiten und mit den ganz alten, die mir dankenswerterweise keinerlei Chance gelassen haben, den Blick auf die andere Straßenseite abzuwenden. Dennoch wird es noch etwas dauern, bis wir – meine Nächsten und ich – uns wirklich eingeschwungen haben auf all das, was so eine Erkrankung mit sich bringen mag. Und es wird noch etwas dauern, bis ich so sicher bin, dass ich wirklich jedem Blick begegnen kann, dem ich begegnen mag. Aber dann: PAFF!

And you’ll make me smile by really getting into the swing

I’d rather dance with you | Kings of Convenience
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