Falling

Ich starre auf Schreibtische, laminiert mit beigefarbenem Resopal und frage mich, wie Menschen jemals auf die Idee kommen konnten, Arbeitsplätze in dieser scheußlichen Tönung zu konzipieren. Als ob das eine Farbe sei, die zu konstruktiver Arbeit motivieren oder die beschwingt und fröhlich machen könnte. Und diese Pfützen auf der leicht gewellten Oberfläche … kann die mal jemand wegmachen? … Zaghaft schiebt sich ein Fangarm mein Bein entlang nach oben, dahinter streckt Octopussy mit unschuldigem Augenaufschlag seinen Kopf unter dem Schreibtisch hervor und fragt leise, warum ich denn weine?

Can I give you my thoughts? | I’m falling

Ich hänge der Idee nach, dass das Auftauchen meines Quälgeistes unter der Tischplatte vielleicht doch eine der Nebenwirkungen meiner Medikamente in Form von Halluzinationen ist. Ich setze mich so in den Stuhl, dass meine schmerzende Hüfte zusammen mit der Armlehne aus der imaginären Nervensäge eigentlich Plattfisch machen müsste. Dann sammle ich mich und kehre wieder zurück in den Beratungsraum der Rentenversicherung. Zwei kompetente Damen – eine ältere, die mit strengem Blick hinter der jüngeren sitzt und über ihr Tun wacht – informieren mich über meinen Rentenanspruch.

In diesem Zuge fragen sie mich Löcher in den Bauch.

Can I give you my trust? | I’m falling

Es ist eine der schlimmsten Erfahrungen der letzten Monate, dass mich anscheinend jeder alles fragen darf, während ich gar nicht anders kann, als ehrlich zu sein. Jetzt wissen also zwei weitere, mir völlig unbekannte Frauen, wieviel Stunden Arbeit am Stück ich mir zutraue, wieviel ich verdiene, wann meine Hochzeit und wann meine Scheidung war, wer meine Ärzte sind und wann ich wo operiert wurde.

I don’t know, don’t know, don’t know

Was sie nicht wissen: Ich bin heute zum ersten Mal gestürzt. Im Ärztehaus auf dem Weg zur Neurologin, die sehr zufrieden mit meinem derzeitigen Zustand ist. Stürzen, sagte sie, tut man auch als gesunder Mensch, machen Sie sich keinen Kopf. Die Damen von der Rentenversicherung ahnen hiervon jedoch nichts … genausowenig von der aufdringlichen Intimität, die diese Beratungsszene heraufbeschwört. Und noch weniger davon, wie solche Termine die Krankheit in ihrer ganzen Gnadenlosigkeit präsent werden lassen.

Everything that you said | Like how your life has changed | Everything that you do | You didn’t think you had in you | Three years ago

Darum weine ich unter anderem, Du blöder Hund! Ich mache mir keinen Kopf in Sachen Stürze, wische mit der Hand die Pfützen auf dem Resopal trocken, lächle in Richtung geballter Rentenkompetenz und höre, wie Pussy mir zuflüstert:

Aber Eva, du musst doch nicht traurig sein … du hast doch jetzt mich!

Falling | Amerie beim Nach-oben–fallen gelandet auf der Spotify-Playlist