(Everybody’s free to) Wear sunscreen …

»Was machst du so? – Das ist so ne typisch deutsche Frage, oder?«, antwortet Chris.

Wir waren mit die ersten Gäste im Beachclub an diesem Vormittag. Dennoch konnten wir nicht ganz frei unsere Liegestühle auswählen – Liegestühle heißen hier Sunbeds, das wertet das Erleben ungemein auf. In dieser Reihe sind sechs Sunbeds nebeneinander reserviert, klärt uns der Boy auf, ehe er auf die zusammengeschobenen Liegestühle 7 und 8 unsere Handtücher ausbreitet. Wir machen es uns gemütlich an unserem letzten Tag – bis wir uns eingerichtet haben, ist es Mittag. Das Wetter ist ideal, kein Wölkchen am Himmel, wir bestellen uns eine Flasche Weißwein zum Wasser und beobachten, wie sich der Beachclub langsam füllt. Viele der Gäste sind in den Dreißigern, wenige kommen paarweise, eher finden sich Frauen- und Männergruppen ein. Auch neben uns werden die Plätze eingenommen: Links von uns hält eines der eher rar gesäten Paare Einzug: Ein etwa 28-jähriger Engländer, gefangen im leichenblassen Körper eines wohlstandsverwöhnten Sechzigjährigen. Mitgebracht hat er seine gleichaltrige Partnerin, die damit beschäftigt ist, gelangweilt zu sein. Er trägt Gucci-Schlappen, sie eine Gucci-Sonnenbrille, wahrscheinlich auf der Herreise im Duty Free Shop erstanden. Sie bestellen sich Piña Coladas und schauen dabei recht freudlos drein. Es stimmt mich traurig, dass sie nicht genießen können, dass das Leben sie so reich beschenkt hat. Dann ziehe ich in Betracht, dass einer von beiden vielleicht eine unheilbare Krankheit hat. Soll es ja geben, und das kann einem echt den Tag versauen.

The real troubles in your life
Are apt to be things that never crossed your worried mind

Dann kommt auch rechts von uns Leben in die Bude. Eine Gruppe junger Männer nimmt die verbleibende Reihe Betten ein. Die Tätowierungen auf den ansehnlichen Körpern in Englisch und Latein können nicht über die deutsche Herkunft ihrer Träger hinwegtäuschen. Ich bereue mal wieder, in der Schule nicht mehr gelernt zu haben und durchs kleine Latinum gesemmelt zu sein. Chris, wir nennen ihn heimlich den Rädelsführer, tritt als erstes auf den Plan und kümmert sich um die Bettenverteilung. Anschließend sorgt er dafür, dass seine Jungs und er nicht auf dem Trockenen sitzen, indem er eine Magnumflasche Rosato ordert. Der Liebste und ich finden, dass Chris eine ausgesprochen angenehme Erscheinung ist (die sündhaft kostspielige Badehose mit dem absolut lächerlichen Muster ignorieren wir beide. Wir haben live recherchiert, dass diese Badehosen nicht in dezentem Textil zu bekommen sind. Außerdem ist Chris in einem Alter, in dem er eigentlich alles tragen kann.). Wir haben es gut getroffen mit unseren Bettnachbarn. Meine einzige Sorge ist, ob ich die moschusgeschwängerte Luft über den ganzen Nachmittag inhalieren kann, ohne versehentlich selbst zum Ochsen zu werden. Außerdem nehme ich mir vor, den vollbärtigen Kumpel von Chris, der sich später als »der Koch« entpuppen wird, im Auge zu behalten – er scheint die Sonne nicht so gut zu vertragen.

Enjoy your body, use it every way you can
Don’t be afraid of it or what other people think of it
It’s the greatest instrument you’ll ever own

Der DJ beginnt aufzulegen, die Lautstärke der eher langweiligen Loungeklassiker übertönt den Fluglärm kaum. Sehr praktisch, dass der Beach Club so verkehrsgünstig liegt. Zwei Damen aus Norwegen versuchen, bei einer Männergruppe an der Stirnseite des Pools zu landen, während die Buben neben uns auf Mixgetränke umsteigen. Nein, ich spreche nicht von Apfelschorle. Chris ordert ganze Wodkaflaschen und dazu alle zuckerhaltigen Getränke, die das Beachclub-Sortiment hergibt. »Der Koch« bekommt eine zunehmend glänzende Haut.

Wear sunscreen
If I could offer you only one tip for the future, sunscreen would be it

Der Liebste und ich waren lange nicht im Theater. Wir trinken Weißwein und beobachten interessiert das Spektakel um uns herum. Auf einer Nebenbühne hinter uns trifft eine Dame mittleren Alters ein, gefolgt von mehreren jüngeren Männern und Frauen. Sie lässt sich auf einem der für uns unbezahlbaren Himmelbetten nieder und bestellt zwei Magnumflaschen Champagner. Die Jugend ihrer BegleiterInnen, die sich um ihre großzügige Gastgeberin scharen, lässt sie noch älter wirken als sie vermutlich ist, die Plissees ihres gelben Wonderwoman-Capes betonen unvorteilhaft ihre Gesichtsfalten.

Enjoy the power and beauty of your youth, oh, never mind
You will not understand the power and beauty of your youth
Until they’ve faded, but trust me, in 20 years, you’ll look back
At photos of yourself and recall in a way you can’t grasp now
How much possibility lay before you and how fabulous you really looked

Unsere Blicke gehen zurück zur Hauptbühne: Die Herren an der kürzeren Poolseite geben auf. Denn inzwischen haben auch die norwegischen Grazien gemerkt, dass an unserer Flanke mehr Potenz vereint ist. Langsam schweben sie durchs Wasser (tatsächlich laufen sie durchs Wasser mit erhobenen Armen als würden sie bedroht oder verhaftet. Vermutlich können sie nicht schwimmen und wollen außerdem nicht nasser werden als unbedingt nötig). Ich stelle mir vor, wie Octopussy mit ihnen durch den Pool gleitet … Der Körper des Kochs hat inzwischen eine sehr ungesunde Hautfarbe angenommen.

Don’t expect anyone else to support you
Maybe you have a trust fund, maybe you’ll have a wealthy spouse
But you never know when either one might run out

»Na, das war jetzt aber seeehr offensichtlich«, spricht Chris mich an, »oder was meinst Du?«. Er deutet auf die beiden nordischen Wassernixen, die sich unmittelbar vor ihm im Pool positioniert haben und damit beschäftigt sind, gut auszusehen. Ich muss lachen – ich beobachte das Geschehen ja schon den ganzen Nachmittag.

»Sehr offensichtlich, ja«, erwiderte ich grinsend. Wir kommen ins Gepräch über das Balzverhalten von Menschen seines Alters (er schätzt uns unverschämterweise auf plusminusfünfzig – vermutlich haben wir Ähnlichkeit mit seinen Eltern). Dann will er wissen, woher wir kommen, und ich stelle die Frage des Anstoßes, weil ich neugierig bin, welche Lebensumstände welchen Personen welche Möglichkeiten eröffnen …

Accept certain inalienable truths
Prices will rise, politicians will philander, you too, will get old
And when you do, you’ll fantasize that when you were young
Prices were reasonable, politician were noble
And children respected their elders
Respect your elders

»Was machst du so? Im echten Leben?«

»Was machst du so? – Das ist so ne typisch deutsche Frage, oder?«, antwortet Chris.

Er ziert sich, etwas über sich selbst zu erzählen, gibt sich sehr kryptisch; nur über seine Jungs erfahre ich ein bisschen was … Ein Banker ist unter anderem dabei (ich finde leider nicht heraus, in welchem Geldinstitut er angestellt ist, sonst würde ich sofort dorthin wechseln. Wenn es schon keine Zinsen gibt, können doch wenigstens die Überbringer der schlechten Botschaft gut aussehen.), ein IT-ler (»… irgendwas mit Software …«) und natürlich der Koch. Ich überlege, ob die lateinischen Texte auf seinem Körper sein Lieblingsrezept für Hackfleischsoße beschreiben … Ich komme nicht umhin, Chris mitzuteilen, dass ich mich sorge, dass die Hackfleischsoße anbrennen könnte. Das ist der tiefste Teil unserer Unterhaltung, der Rest bleibt hübsch an der Oberfläche. Ich bin amüsiert und zugleich irritiert über den fehlenden Tiefgang. Es ist Zeit, den jungen Mann wieder aus dem Nest zu schubsen: »Jetzt aber dranbleiben – die Mädels haben sich für Euch maximal subtil in Position gebracht: Schenkt ihnen Beachtung!« Chris wendet sich begeistert den Damen aus dem Norden zu, und ich rufe noch hinterher: »Und PASS MIR AUF DEN KOCH AUF!«

Be careful whose advice you buy but be patient with those who supply it

In der Stadt wartet Doktor Mallorca auf unseren Besuch, damit er die Lizenz zum Nach-Hause-Fliegen erteilen kann. Mein Liebster und ich lassen die Pool-Szene unaufgelöst zurück – vorbei am DJ, der beginnt, richtig gute Musik aufzulegen. Im Passieren der Plattenteller denke ich, dass nach meinem Liebsten der DJ eigentlich der einzige interessante Mann im Beachclub ist. Die Rettung des betrunkenen und krebsroten Kochs muss ich bedauerlicherweise aufgeben.

Don’t worry about the future
Or worry, but know that worrying
Is as effective as trying to solve an algebra equation by chewing Bubble gum

Das war vor einem Jahr. Ich sitze am Strand einer Insel auf den Malediven, glücklich über all die Menschen in meinem Leben, die meine Frage »Was machst du so?« immer wieder aufs Neue ausführlich beantworten. Während ich da so sitze, beginnt meine Haut sich zu röten. Sonnenbrand.

Advice is a form of nostalgia, dispensing it is a way of fishing the past
From the disposal, wiping it off, painting over the ugly parts
And recycling it for more than it’s worth
But trust me on the sunscreen

(Everybody’s free to) Wear sunscreen | Renegade Soul
Eingebrannt auf der Spotify-Playlist parkinsonparty