Soft …

Wenn mein Sohn angekündigt, dass er das Haus verlässt, haben wir ein kleines Ritual: Ich singe ihm die ersten Takte von Chicagos »If you leave me now« vor, und er verdreht grinsend die Augen und sagt »Mama …«. Dass dieses Ritual für mich eventuell lustiger ist als für ihn, bemerke ich vor allem dann, wenn seine Kumpels bei der Verabschiedung neben ihm stehen. Große Freude. (Er trägt es mit Fassung.)

… no, baby, please don’t go …

Zwei Wochen etwa sind vergangen seit meinem letzten Post. Oder eher: Sie sind an mir vorübergezogen mit guten und schlechten Überraschungen, eine richtige Wundertüte, prall gefüllt mit Hustenbonbons (eine heftige Erkältung hat mich zum Beispiel im Tiefflug erwischt. Ein hartnäckiges Ding, das sich in Wechselwirkung mit meiner chronischen Erkrankung in fünf Tagen immer prächtiger entfaltet …).

… no, baby, please don’t go …

Mein Laptop hat sich überanstrengt. So sehr, dass der Akku sich wölbte und drohte, seine physischen Grenzen zu sprengen. Ungünstig, wenn die komplette Arbeit sich auf dem Gerät befindet. Gelobt sei der Erfinder des Back-ups. Und gelobt sei der Mann, der mir mit einem neuen Gerät blitzschnell aus der Patsche half.

… no, baby, please don’t go …

Ich war Teilnehmerin bei den Bayreuther Dialogen und habe meine Haltung zu Themen wie künstlicher Intelligenz (unvermeidbar, hoffentlich kontrollierbar und dann ausgesprochen nützlich), Bankgeschäften (undurchsichtig, aber nicht alternativlos) und Fridays for Future (absolut notwendig, aber irgendwie ahistorisch gefangen im Protest, nicht wirksam genug) überprüft und geschärft.

… no, baby, please don’t go …

Die Deutsche Bahn hat sich bei mir entschuldigt. Persönlich am Telefon, sehr empathisch mit klugen Worten (»… für die schreckliche Bahnfahrt, die Sie offensichtlich hatten«). Und per Mail mit einem angemessen üppigen Gutschein. Und die Fahrt im Ersatzzug war tatsächlich ein Horrortrip – zwei Stunden lang vor Stress zitternd auf einem Klappsitz in einem Wagen, in dem weder Licht noch Lautsprecheranlage funktionstüchtig waren. Gebucht hatte ich einen Sitzplatz in der 1. Klasse – zur Stressvermeidung und weil ich bei so langen Fahrten jedes bisschen Bewegungsfreiheit ausnutzen muss (Solange ich mir das leisten kann, ziehe ich die 1. Klasse dem Behindertenplatz vor). Und ich habe mich tatsächlich im Nachgang »beschwert«, was sonst nicht meine Art ist, aber immerhin bin ich heulend am Zielbahnhof angekommen. Seit dem Anruf der freundlichen Dame muss ich immer wieder an den TED-Talk von Stefan Sagmeister denken https://youtu.be/hNk4KgMyzLU »If I don’t ask, I don’t get« …

… no, baby, please don’t go …

Und heute ist eben mein Liebster auf einen Businesstrip losgezogen (besser: geflogen), seine Töchter sind ebenfalls im Ausland (und ja: Bayern zählt hier auch als Ausland) und die liebsten faden Freunde machen zusätzlich auf Jet-Set und haben die Heimat vorübergehend verlassen.

… no, baby, please don’t go …

Ich sitze also zwischen turbulenten vergangenen und überfüllten kommenden Wochen, neben einem Schuhkarton voller Hustenbonbons (Ungelogen. Wenn, dann richtig.), warte, dass die Kopfschmerztabletten helfen und habe irgendwie versäumt, ihnen allen ein kleines »If you leave me now …« mitzugeben (Vielleicht besser so – im Gesangsunterricht bin ich immer noch bei den Vokalen).

Wie gut, dass alle wieder zurückkommen. Und wie wunderbar, dass das beste Kind der Welt, nämlich mein fast volljähriger Sohn, im Nebenzimmer sitzt.

Soft | Lemon Jelly auch ganz soft auf der Spotify-Playlist