Paint the silence …

Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich über das Folgende schreibe und vor allem ob ich das Geschriebene veröffentliche. Weil es vielleicht einen (…) Eindruck machen könnte (Mögen die Lesenden nach Konsumieren des Beitrags bitte statt der Auslassungspunkte ein geeignetes Adjektiv einsetzen). Aber heute Abend dachte ich: Was soll‘s!

Don’t leave me to pick up on your questions
Not even a day

Da sind wir also wieder, Octopussy und ich. Wir gönnen uns bei meiner Schreiberei eine kleine Pause von unserem erbitterten Kampf um die Vorherrschaft über meinen Körper. Der Sieger ist noch ungewiss: Pussy hat tendenziell mehr Arme als ich, aber er sitzt auf dem Trockenen. Und ich bin deutlich zäher als er (Das könnte sich allerdings rasch ändern, wenn ich ihn zu frittierten Tintenfischringen verarbeite – die werden sicher auch ganz schön zäh).

A combination of love and aggression …

Vor kurzem traf ich einen Bekannten, dem ich von meinem turbulenten Jahr und seinen Folgen berichtete. Seine Antwort war, dass er seit geraumer Zeit ein Problem mit der Schulter hat und »… so hat eben jeder was«. Dieses Gespräch hat mich nachhaltig beeindruckt. Seitdem habe ich keinen vernünftigen Blogbeitrag mehr zustande gekriegt und mich stattdessen gefragt: Hat eben jeder was? Stell ich mich vielleicht bloß an? Nach viel Hirnfasching habe ich für mich klar gekriegt, was da passiert ist: Ich habe mich nicht ernst genommen gefühlt.

Now the violence sleeps inside
Abandon feeling for just a piece of mind
It’s the reason why your teething side irates me

Wenn uns jemand erzählt, dass er eine Grippe hat, neigen wir dazu, das Erzählte zu relativieren. Wir sagen so etwas wie »Hatte ich dieses Jahr auch schon.« oder »Ich bin auch gerade schlimm erkältet.«, dann wünschen wir vielleicht noch eine gute Besserung und verabschieden uns wieder gegenseitig in die jeweilige Wirklichkeit.

Die nächste Stufe ist das Übertrumpfen. Vielleicht erinnern sich die geneigten Lesenden an die Situationen in Kindergarten oder Schule, wo man sich gegenseitig seine Narben gezeigt und die Stichanzahl verglichen hat. Wer die meisten Stiche hatte, war der Gewinner. (Ich durfte wegen meiner Metzgersnarbe auf dem Knie mit gefühlten 25 Stichen nie mitspielen, weil unlauterer Wettbewerb.)

Irgendwie ist das Übertrumpfen eine ganz eigene Art der Empathie, die nur unter Narbenträgern funktioniert. Oder unter Erkälteten. Oder unter Menschen, die Knochenbrüche erlitten haben (Oberschenkelhalsbruch sticht Armbruch, aber Kahnbeinbruch ist Trumpf!). Und es funktioniert vermutlich deswegen, weil alle eine ähnliche, vergleichbare Erfahrung gemacht haben.

Unter neurologisch Erkrankten geht das auch: Wer hat mehr Handicaps/weniger Schlaf/größere Unbeweglichkeit? Aber: Niemand freut sich mehr mit dir über die kleinste Zustandsverbesserung als dein Mitinsasse aus der Klinik. Weil nur der nachempfinden kann, wie es sich anfühlt, chronische Schmerzen zu haben oder die Kontrolle über seinen Körper zu verlieren.

You got a right to stand or die so maybe
You take chances all the same
Pain comes in stages

Doch ernsthaft Kranksein ist kein Wettbewerb.

Eine Krankheit mit degenerativem Verlauf ist lebensverändernd. Sie verlangt stetige Anpassungen im Alltag, sie nimmt Einfluss auf Beziehungen, sie erfordert neue Denkweisen über nahezu alles, was man bis zur Diagnose niemals in Frage gestellt hätte, und sie ruft mit all dem eine große Verunsicherung hervor, die zusätzlich eigene Aufmerksamkeit erfordert. Sie verursacht übrigens unter Umständen Schulterprobleme (Wie in meinem Fall. STICHT!). Ganz kühn möchte ich behaupten, dass vorübergehende orthopädische Probleme sich hier zum Vergleich als Empathiebezeugung womöglich nicht eignen. Ich bin wirklich nicht im geringsten darauf erpicht, bemitleidet zu werden. Belächelt zu werden empfinde ich allerdings genauso wenig als adäquaten Umgang mit einer für mich einschneidenden Lebensveränderung.

Now the violence sleeps inside
Abandon feeling for just a piece of mind
It’s the reason why your teething side frustrates me

Es ist ein großes Glück für einen gesunden Menschen, sich nicht in einen kranken versetzen zu können, geschweige denn zu müssen. Relativieren oder Übertrumpfen greift da nicht. Aber sich gegenseitig ernst nehmen, das ginge.

Ernstnehmen ist die kleinste Form der Empathie.

If we don’t make it
Nothing changes

… ich bin ja schon still …

Paint the silence | South
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