This low commotion …

Die Pakete sind alle angekommen, die Kinder, die jetzt allesamt junge Erwachsene sind, haben also kein geschenkefreies Weihnachten zu befürchten.

Bleibt noch die Angst, an den Feiertagen zu verhungern. Um die auszuräumen und aus der Sorge heraus, am Montag könne es vielleicht zu Hamsterkäufen kommen und wir müssten uns zur Frischetheke durchboxen, indem ich mit der Handtasche auf die Hinterköpfe der anderen Konsumenten klatsche, um also größere Katastrophen zu verhindern, machten wir uns bereits am Samstag auf ins Schlaraffenland unseres Vertrauens.

Weil man aber auf leerem Magen nicht einkaufen gehen soll, kehrten wir bei der Hälfte unserer langen achtminütigen Fahrt ein. Zugunsten meines Gewissens und zugunsten meiner Freundschaften mit Personen mit Ernährungsvielfaltseinschränkungen sprechen wir hier nicht weiter über die Lokalität. Sagen wir einfach: Es handelt sich um einen österreichischen Spezialitätenimbiss, der eine Leibspeise meines Liebsten anbietet.

I’m just a dog, a machine for your love

Wir hatten gemeinsam noch nie dort gegessen und waren positiv überrascht von der freundlichen und zuvorkommenden Bedienung. »So sind sie, die Österreicher«, mag der ein oder die andere Lesende denken. Ich würde grundsätzlich zustimmen, außer dass die Pächter vermutlich griechische Landsleute waren. Die ganze Familie arbeitete fleißig mit, das ganze Lokal war scheinbar voller Freunde oder mindestens Stammgäste, am Tresen für den Schnellimbiss stand eine Schlange von Hungrigen, und ich saß in einer günstigen Position, um das rege Treiben beobachten zu können, während wir aßen und uns vornehmlich mit vollem Mund unterhielten.

But this low, low, low commotion
Would not leave our paradise alone

Irgendwann waren wir satt, und langsam fiel uns auch wieder ein, dass unsere Mission ursprünglich der Weihnachtseinkauf war. Wir zahlten … und just bevor wir aufstanden, kam ein durchaus attraktiver Mann mittleren Alters durch die Tür. Er nahm Platz, während ich innerlich in Schockstarre verfiel. Das war ich als Mann!

To know every man, every place that you’ve been

Wie er sich bewegte … diese unbändige Langsamkeit, die leicht nach vorne gebeugte Körperhaltung, das Zittern der Arme, als er seine modisch eng geschnittene Steppjacke auszog … all das war mir unendlich vertraut. Ich habe gesehen, was ich sonst nur fühle. Ich hatte den Impuls, ihn anzusprechen, aber was sollte ich sagen?

What does it mean to be unhealthy badly my love?
To be in a bad state so well

»Hallo, wissen Sie, dass Sie Parkinson haben?« (Um sicher zu gehen, dass er nicht die gleiche Fehldiagnosen-Odyssee durchmacht wie ich) oder »Kann es sein, dass wir beiden Hübschen die selbe Krankheit haben?«. Keine angenehmen Aufhänger für ein gelungenes Gespräch. Es ist ja nicht so einfach wie bei Hundebesitzern, die sich während eines Gassigangs begegnen. »Wie alt ist ihrer?« (Im März wird er offiziell ein Jahr alt), »Wie heißt ihrer? (Octopussy) … »Ist ihrer schon stubenrein?« (An guten Tagen schon).

Genau genommen wusste ich selbst nicht, was ich eigentlich von diesem Mann gewollt hätte.

What does it mean to face desire so sadly?
To beg at the empty well

Unverrichteter Dinge folgte ich meinem Liebsten aus dem Lokal. Ich dachte über Einsamkeit nach. Ob mein männliches Alter Ego wohl alleine hier war, weil der Rest der Familie zuhause für ihn Geschenke einpackte? Oder ob er Weihnachten wohl alleine zubrachte? Und ich dachte darüber nach, wie ich in aller Detailtreue seine körperlichen Einschränkungen nachempfinden konnte, weil sie vermutlich deckungsgleich mit meinen waren.

Residual images hover above

Wir stiegen in den Wagen und erledigten unsere umfangreichen Einkäufe. Ich werde an Weihnachten nicht einsam sein.

This low commotion
Is going down, down, down, down

This low commotion – Timber Timbre
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