Talking with myself …

Vorletzte Nacht dachte ich, es wäre ein guter Moment, um einen neuen Text für den Blog zu verfassen. Der erste Satz, den ich Punkt Mitternacht niederschrieb, lautete: »Vor einer Minute begann der letzte Tag des Jahres.«
Alle anderen, wirklich sehr guten Momente im jetzt verstrichenen Jahr habe ich sang- und klanglos vorüberziehen lassen, ohne zu schreiben. Besonders Ereignisse der zweiten Jahreshälfte fanden keine virtuelle Plattform. 

And if it’s alright with you I’ll just talk with myself 

Zum Beispiel der zehntägige Urlaub an der Mosel mit dem Liebsten, von dem ich nur die erste einer Reihe von skurrilen Begebenheiten in Worte zu fassen schaffte:

»Der erste Stopp beginnt mit einem falschen Zimmer. Oder anders ausgedrückt: Mit der falschen Möblierung. Anstatt eines King Size Beds erwartet uns ein unbezogenes Einzellager. Dafür wird der restliche Raum eingenommen von einer monströsen Massageliege. Ich überlege kurz, ob das eine Überraschung sein soll (wahrscheinlich überlegt der Liebste neben mir stehend gerade dasselbe), wir sehen uns an und wissen: Der Urlaub beginnt ganz schön schräg.
Auch nach einer halben Stunde ist es dem Hotel-Team nicht gelungen, das Zimmer für uns bezugsfertig zu machen. Der Krake hängt schwer an mir, ein Drink aufs Haus wird uns auch nicht angeboten. Pre-Opening hin oder her, bisher wird das eine klare Nicht-Empfehlung für das funkelnagelneue Hotel.
Das gibt uns ausreichend Gelegenheit, die anderen Gäste zu begutachten: Eine Maskenvielfalt wie aus Stanley Kubrick‘s Eyes wide shut – nur leider extrem unsexy, keine und keinen von denen möchte man unbedingt nackt sehen. Aufgetakelte Schönheiten, die es dieses Jahr coronabedingt nicht in den Spanienurlaub geschafft haben.
Nach schlappen anderthalb Stunden hat man es geschafft, aus dem Einzel- ein Doppelbett zu machen.«

Die Reise  setzte sich auf die selbe Weise fort, doch ich mache der Mosel keinen Vorwurf – auch wir hätten Mallorca der Mosel klar vorgezogen, und das haben wir den idyllischen Rieslingfluss deutlich spüren lassen. Darüber schreiben konnte ich dann nicht mehr – die Hälfte unserer »freien  Tage« hing ich in Videokonferenzen.

And if it’s alright with you I’ll just talk with myself

Ebenfalls unbeachtet blieben all die Dinge, die wir (oder manche von uns) dank Corona entdeckt und sehr zu schätzen gelernt haben: Im Supermarkt nur Obst anfassen, das wir wirklich kaufen möchten. Ausfahrten ins Grüne machen, im Gepäck Körbe, bis zum Rand gefüllt mit selbst zubereiteten Leckereien, Tonic Water, alkoholfreiem Gin und Kristallgläsern. Lüften. Stunden zubringen im intensiven Skypedialog von Paar zu Paar. Händewaschen. Spazier- und Marktgänge, weinlaunige Abende zu viert … all das mit liebsten Freunden.

And if it’s alright with you I’ll just talk with myself

Kommentarlos verstrich auch mein runder Geburtstag, dessen Nachmittag ich in der Rehaklinik verbrachte. Mit einem kleinen Geburtstagsküchlein und einer Handvoll Konfetti im Haar stapfte ich – nicht unglücklich – nach den Therapien in die Tiefgarage. Ich war die einzige Patientin, die ihr Auto im Bauch des Klinikkomplexes abstellen durfte. Parkinsonparkplatz statt Parkinsonparty. Zuhause erwarteten mich keine 100 Gäste, wie ich das für diesen Tag geplant hatte (http://parkinsonparty.de/magic/), aber zahlreiche Gratulationen per Video, ein Meer aus Rosen, ein mehrgängiges Menü zubereitet vom Liebsten und einem engen Freundespaar … alles ganz anders als geplant, aber alles ganz wunderbar.

And if it’s alright with you I’ll just talk with myself

Ich habe nicht den Triumph geteilt, das Projekt »Korbtablett« innerhalb der vorgegebenen Zeit abgeschlossen zu haben (s. http://parkinsonparty.de/taste/). Und ich habe die Niederlage, mit der Decke nur bei der Hälfte zu sein, für mich behalten. Aber jetzt ist es raus: Ich brauch noch ein Jahr (http://parkinsonparty.de/pink-cashmere/).

And if it’s alright with you I’ll just talk with myself

Nicht einmal ausreichend Muse konnte ich aufbringen, um den rührendsten Moment des Jahres in Worte zu fassen: Als Herr Maier, um die 65 Jahre, halbseitig gelähmt durch einen Schlaganfall, sich auf seinen Stock stützend erhob, um mir mit seiner gesunden Hand in meine Jacke zu helfen. Er hatte gesehen, wie ich eine halbe Ewigkeit versucht hatte, in meinen Ärmel zu finden. »Ich kenn das«, meinte er … und ich wollte am liebsten losheulen. 

And if it’s alright with you I’ll just talk with myself

Statt all das mit meiner geliebten Leserschaft zu teilen, habe ich gearbeitet … oder getrauert … zu wenig Zeit für Müßiggang gehabt … und mich auf jeden Fall übernommen … höchste Zeit für gute Vorsätze und noch bessere Prognosen … Wie geht es weiter? Was sagt der Blick in die Kristallkugel?
In der Silvesternacht haben wir das Bleigießen ersetzt durch – Achtung Voodoo – das Ziehen von Jahreskarten aus einem Tarotdeck, um in die Zukunft zu blicken. Denn mal ehrlich: Wer bitte hat jemals etwas anderes gegossen als einen Embryo (sofern man die Arschbombe eines geschmolzenen Metallklumpens hinein in einen alten Topf voll eiskalten Wassers überhaupt als »Blei gießen« bezeichnen kann)? Und wo bitte sind die vielen durch das Schwermetall-Orakel prophezeiten Kinder? Müssten wir nicht alle, die wir auf diese Weise versuchten, in die Zukunft zu sehen, schwanger sein (Männer eingeschlossen)?

And with the light shining down on you you sure look tragic too

Aus einem Deck von etwa 80 Karten zog ich die eine Karte, die im neuen Jahr Heilung verspricht. Und ich dachte an die Nacht zuvor, als ich schrieb  »Vor einer Minute begann der letzte Tag des Jahres.« … und ich dann das Schreiben einstellen musste, weil mein Körper mir nicht mehr gehorchte. 

And if you just say where and when then I will be there waiting 

Octopussy hatte übrigens einen angenehmen Jahreswechsel …

Talking with myself | Electribe 101
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