I would rather hide …

Wortfetzen fliegen an mir vorüber. Ungleichmäßig abgerissene Zettel aus Butterbrotpapier, zart bleistiftbeschrieben mit langen Zeilen … »ein Jahr parkinsonparty.de« … »Signora Rossi gegen das Land Baden-Württemberg« … »wie ich meine Freunde vermisse« … »der fließende Übergang zwischen (zu) viel arbeiten …« … vier Wochen ohne Blogeintrag, in denen nahezu jeder Tag ein Eintrag wert gewesen wäre … 9:17 Stunden Musik, 125 ausgewählte Songs, die darauf warten, Titel eines Textes zu werden …

I know we’re all insane when there’s no one else around

Nach einem guten Jahr des Begreifenmüssens, des Lebenneuorganisierens, des Möglichkeitenauslotens, nach einem guten Jahr, in dem sich vor allem mein Verstand mit meiner neuen Lebenssituation auseinandergesetzt hat, kommt nun all das im Gefühl an … ein zäher Brei, der sich langsam vom angeschlagenen Gehirn vorbei an den absterbenden Nervenzellen ins ängstliche Herz vorarbeitet und sich dort als klebrige Melasse ausbreitet … Ich sehe in mich hinein und bin erstaunt, wie ein so behäbiger Prozess eine derartige Wucht entwickeln kann …

In the night I’m on my own
Unglue my mind and burn my telephone

Nächtelang liege ich wach … anstatt Texte zu schreiben, hadere ich mit dem Schicksal und mit dem- oder derjenigen, der entschieden hat, dass es eine gute Idee ist, mir ins Hirn zu scheißen, anstatt irgendjemand anderem. Ich sinniere über Gerechtigkeit, darüber, dass unfassbar doofe Menschen gesund sein dürfen und darüber, wem alles ich mindestens Fußpilz wünsche … als ob das irgendeinen positiven Einfluss auf meine Krankheit hätte …

I feel a phantom fly from my fear
(Ain’t goin‘ nowhere)
follows the voice I sometimes hear

»Denken, fühlen, handeln« … Ich erinnere mich an einen Buchtitel aus dem Verlag meines Vaters. Den Inhalt hatte ich nie gelesen, doch die drei Worte auf dem Titel fand ich immer eine präzise Beschreibung eines Verarbeitungsprozesses. Ich spüre, wie ich meine Krankheit vorerst zu Ende gedacht habe, wie ich beginne, sie zu fühlen … und stelle dann mit Entsetzen fest, dass kein Handeln möglich ist. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, doch ich habe ein Problem, für das es keine Lösung gibt. Ich schließe die Augen … wie ein kleines Kind wünsche ich mir, dass alles wieder gut ist, wenn ich sie wieder öffne …

I think aliens abducted me
I close my eyes if I want to see

Nichts ist gut an Krankheiten wie dieser, nichts ist gut an Parkinson, es gibt nichts, was ich daraus lernen kann, nichts, wofür ich dankbar sein könnte. Und auch die Tatsache, dass ich wahrscheinlich zu den Menschen gehöre, die es schaffen, mit der Situation früher oder später besser oder schlechter klar zu kommen, ändert nichts daran, dass nichts gut ist an dieser Krankheit. Ich bin fast froh über den vorherrschenden Virus, denn so muss ich meinen Trauerkloß nicht raus in die Welt tragen …

I don’t wanna go outside inside
I would rather hide

»Octopussy vs. Medikamente« liefern sich einen erbitterten Kampf um die Kontrolle über meinen Körper. Ich sehe semi-interessiert zu, denn ich weiß schon, wer als Sieger hervorgehen wird … und ich male mir aus, wie schön es wäre, könnte ich meine Erkrankung gegen Fußpilz eintauschen.

I would rather hide | Joseph Arthur
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