Underwater Love …

U-Bahnfahrt zum Kunden: Desinfektionsmittel im Gepäck, Corona-App am Start, Mundschutz im Gesicht, Gummihandschuhe übergezogen, Maske und Handschuhe natürlich in schwarz – always travel in style. Ich muss aufpassen, dass ich mir nichts einfange. An der Haltestelle eine Reihe Vermummter. Die Vernünftigen tragen die Maske über Nase und Kinn, die Neunmalklugen lassen ihr Riechorgan in die Freiheit (es sieht nicht nur behämmert aus, es ist zusätzlich ungefähr so sinnvoll wie eine Unterbuxe, aus der ein Großteil des Gemächts raushängt). Und dann gibt es noch die, die den meist klinikgrünen Papierfetzen auf Halbmast am Kinn postiert haben, als könnten sie damit irgendetwas Wertvolles auffangen. Hirnmasse vielleicht, aber das ist nur eine Vermutung.

Ich stelle mir vor, wie Aliens in diesem Moment landen, diese wundervolle Menschenansammlung vor Augen. Wahrscheinlich würden sie sich mit blecherner Alienstimme kaputtlachen. Oder nur die in ihre bessere Welt mitnehmen, die ihre Maske richtig tragen.

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To a place you only dreamt of

Before I came along

»Die große Liebe wird es wohl nicht werden zwischen Ihnen beiden.« Mrs. Lucy meint meinen feucht-fröhlichen, achtarmigen Banditen und mich. Ich sitze in therapeutisch wertvoller Anordnung und natürlich mit derzeit unvermeidlichem Hygieneabstand in ihrem blauen Sessel und spreche über meinen andauernden Zustand der Verunsicherung. In diesem Gespräch wird mir zum ersten Mal klar, dass aus Erkenntnis Bedrohung werden kann.

This must be underwater love
The way I feel it slipping all over me

Corona hat uns irgendwie zusammengeschweißt. Auch Octopussy hat keinen Bock auf Ansteckung. Als wäre ich der Wirt für den Parkinson-Polypen, und er mein Gast, mahnt er mich zur Vorsicht. Er weiß, dass ich mit einem Virus im Körper mein eigener Geist werde … kaum noch da, hauchdünn wie Transparentpapier, unfähig, alltägliche Dinge zu erledigen.

Aber Octopussy will spielen. Wie eine satte Katze, die eine Maus erbeutet hat, scheint auch er vor allem Interesse daran zu haben, mir Angst einzujagen und zu demonstrieren, dass er die volle Macht über mich hat. Dafür braucht er mich einigermaßen in Form. Also kein Corona, bitte. Und auch ich möchte lieber auf eine zusätzliche körperliche Belastung verzichten … ganz grundsätzlich … und im Speziellen …

This must be underwater love
The way I feel it

Seit dem Wissen um meine Krankheit versuchte ich über Wochen, meine Arbeitslast zu minimieren – die ständige Befürchtung, ich könnte mich übernehmen, strengte mich ungeheuer an. Das selbstgemachte schlechte Gewissen erschöpfte mich mehr als die Arbeit selbst. Meine jüngst getroffene Entscheidung, mich einfach so viel und so lange meinem Beruf zu widmen, wie es sich gut anfühlt, hat dagegen einen erstaunlich vitalisierenden Effekt.

So muss sich die Prinzessin bei Mariokart fühlen, wenn sie über einen Stern fährt. Wenn es keine schlechten Tage gäbe, wäre es fast wie früher …

After the rain comes sun
After the sun comes rain again

Dass es nicht ist wie früher, lässt mich der Krake unmissverständlich spüren. Er bremst in den ungeeignetsten Augenblicken meine Bewegungsgeschwindigkeit ein, sorgt für ununterbrochene Schmerzen, lässt mich Nächte durchwachen, verstärkt von den Medikamenten, die ihn bekämpfen sollen.

Und weil ihm das noch nicht genug Kontrolle ist, besetzt er auch mein Denken, stellt in Frage, ob ich das alles schaffe, was ich mir vorgenommen habe. Meine Pläne begleitet er mantraartig mit »DU HAST PARKINSON!!!« und schürt Angst und Verunsicherung in dem schwachen Anteil in mir: Vielleicht übernehme ich mich doch. Vielleicht schaffe ich alles nicht.

Mit der Erkenntnis, »krank« zu sein, kamen nicht nur endlich die Medikamente, die immerhin die Symptome etwas lindern können. Mit der Erkenntnis »unheilbar« und »degenerativ« krank zu sein, kam auch die unausweichliche Bedrohung.

When I first saw you
I was deep in clear blue water

»Die Verunsicherung wird nicht weggehen, mit der müssen Sie zurecht kommen«, sagt Mrs. Lucy. Ich bin wenig begeistert von ihrer Einschätzung. Doch nach und nach wird mir klar: In der Zeit als der Krake noch namenlos war, hatte ich keine Medikamente zur Verfügung, die wenigstens einen Teil meiner Symptome zu lindern vermochten, doch mein Programm habe ich trotzdem lückenlos absolviert. Was sollte mich also jetzt daran hindern, wo ich doch gut auf Medikamente eingestellt bin? Und alles, was ich nicht schaffe, mache ich einfach, wenn es mir besser … ach … degenerativ … unheilbar … ganz vergessen.

And you jumped in with your eyes closed
And a smile upon your face

Ich schaue nach rechts und sehe in ein überlegen-grinsendes Gesicht: Octopussy. Mit dem muss ich wohl zurechtkommen. Auch er weiß, dass es zwischen uns nicht die große Liebe werden wird. Und doch setzt er an zu einer engen Umarmung. Alles, was ich noch denken kann ist:

Be my guest.

This is it
Underwater love

It is so deep
So beautifully liquid

Underwater love | Smoke City
Blubbblubb auf der Spotify-Playlist