Delay …
Mein Vater glaubt fest an die Einteilung des Lebens in Jahrsiebte: Alle sieben Jahre gibt es seiner Meinung nach einen besonderen Schub in der individuellen Entwicklung des menschlichen Daseins. Irgendwie hat mir das immer eingeleuchtet … mit 7 sind wir schulreif (inzwischen anscheinend schon mit 5, was ich bezweifle), mit 14 spätestens kommen wir in die Pubertät (manche schon mit 11 – die sind aber auch mit gut 4 Jahren eingeschult worden), mit 21 haben wir die Pubertät hoffentlich überstanden (wobei es keinen kausalen Zusammenhang zwischen Beginn und Ende dieser für Eltern und Kind anstrengenden Zeit gibt) und kümmern uns um unsere Ausbildung oder unseren Berufsbeginn, mit 28 sind wir bereit, eine Familie zu gründen (manche sind niemals bereit dafür und akzeptieren oder ignorieren wahlweise ihr fehlendes Talent), und und und … Ich werde dieses Jahr 49.
Es war ein schönes, dichtes Wochenende – der Liebste feierte Geburtstag (allerdings kein Jahrsiebt abgeschlossen), zweimal. Am Abend mit zwei Handvoll Freunden. Und tags darauf mit der Familie. Die Lieblingsstieftochter, ihr Freund und ich haben dem Jubilar unter höchstem Einsatz ein angemessen festliches Wochenende bereitet und dabei viel Spaß gehabt … die komischen Situationen blieben dennoch nicht aus: … Wissen denn alle von der Diagnose? … Und falls ja, warum erzählt mir mein Gegenüber jetzt seit geschlagenen zehn Minuten von seinem schlimmen Nasenbluten, das ihn veranlasst hat, die Notaufnahme aufzusuchen? … Wäre die passende Antwort »Oh wie schlimm!« oder eher »Deine Probleme möchte ich haben!« (Es versteht sich von selbst, dass ich in solchen Situationen IMMER die höflichere Variante bevorzuge.)
I’ll let it just drip on me … I’ll let it just soak right through
Dann der Familientag: Großes Hallo, ein zufriedenes Durcheinandergeplapper von Jung und Alt, und mein Liebster und ich mittendrin, beide mit einem leicht debilen Grinsen im Gesicht: einerseits wegen des großen Glücks, dass sich unsere Familien wie selbstverständlich gut verstehen, andererseits wegen der langen Feierei in der Nacht zuvor und der daraus folgenden Unfähigkeit, diese Unmengen freudvoll bereitgestellter Informationen auch nur im Ansatz aufzunehmen … Irgendwann ist der Wort-Orkan vorübergezogen und lässt uns mit meinen Eltern zurück … Mein Vater trägt sein Herz auf der Zunge – er ist glücklich, dass wir uns vor einigen Jahren gefunden haben, mein Liebster und ich.
When I was just a young child my father said to me
He said: Sleep around with dogs, dear, and you for sure will catch their fleas
Und dann beginnt er, von den Jahrsiebten zu sprechen … und von seiner Zuversicht, dass um meinen 49. Geburtstag bei mir etwas eintreten wird, das meinen gesundheitlichen Zustand verbessert. Wir tauschen uns über die Krankheit aus, und weil ich nicht möchte, dass meine Eltern im Verlauf der nächsten Jahre überrascht sind, falls sich mein Zustand trotz aller Anstrengung verschlechtert, setze ich sie ins Bild: Zum Zeitpunkt der ersten Symptome eines Parkinson-Syndroms sind bereits 50-60% der spezifischen Nervenzellen abgestorben. Der maximale Erfolg wäre das nachhaltige Stoppen der Krankheit. Die verlorenen Zellen kommen nicht zurück, eine Besserung ist nicht in Sicht. Es bricht mir selbst das Herz, das auszusprechen, und es tut mir so leid, meiner Familie solche Sorgen zu bereiten.
It will get better … that’s what I told you from the start
It will get clearer … that’s what the weather gods said last night
Erst heute morgen wird mir beim Aufwachen klar, wie mental anstrengend die letzten Tage waren … der rechte Arm ist schwer und so unbeweglich wie der einer Schaufensterpuppe, das rechte Bein ist unter Hochspannung.
Vielleicht wird im Laufe der Jahre alles anders, viel besser als befürchtet und die Forschung beschert uns Parkis eine irgendwie geartete Therapie, die wirklich heilt und dem Körper nicht nur vorgaukelt, dass er alles hat, was er braucht.
Wie auch immer: Für heute beende ich den Tag – ich hab Nasenbluten.