When I grow up …

Als Kinder hatten die meisten von uns ganz genaue Vorstellungen, wie ihre noch ferne berufliche Zukunft als Erwachsene werden sollte: Der Berufswunsch »Verwaltungsangestellte«, »Versicherungsagent« oder »Sozial-Pädagogin« tauchte nie auf. Ich erinnere mich aber, dass »Tierarzt« bei vielen ganz oben auf der Wunschliste stand, einer meiner Klassenkameraden wollte Bundeskanzler werden, ein anderer Broker, Favoriten waren auch Karrieren als Sänger oder Schauspielerin (ungeachtet einer totalen Talentfreiheit).

When I grow up I want to be a forester
Run through the moss on high heels

Ich wollte immer Designer werden. Ich finde die Tatsache, dass ich beruflich nie etwas anderes wollte, fast selbst schon ein bisschen langweilig. Dabei ist mein Beruf, so wie ich ihn begreife, einer der abwechslungsreichsten überhaupt. Jeder Kunde lädt mich ein, sein Produkt oder seine Dienstleistung und alle Zusammenhänge seines Tuns nachzuvollziehen und zu verstehen. Maschinenbau, die Kultur der Kelten, Kindertagespflege, Yoga, Einkaufszentren, Ernährung, Events aller Art, Banken … in all diese Welten darf ich eintauchen … wie Alice im Wunderland stolpere ich von Projekt zu Projekt und von Job zu Job und komme aus dem Staunen nicht mehr raus. Und ich genieße es, mich mit den ganz unterschiedlichen Inhalten auseinanderzusetzen und daraus eine angemessene Ästhetik zu entwickeln. Ich stecke Herzblut in meine Arbeit. Und dennoch hadere ich ab und an mit der Sinnhaftigkeit und der Wichtigkeit meines beruflichen Tuns … Können Menschen nicht auch ohne Visitenkarte sehr gut überleben? Hat ein Logo jemals Krankheiten geheilt?

I put my soul into what I do
Last night I drew a funny man with dog eyes and a hanging tongue

Als ich gestern im Aphorismenparadies mein Therapie-Triptychon Feinmotorik – Armkoordination – Rückentraining absolvierte, musste ich unmittelbar über Berufe, Berufung und Wertschätzung nachdenken. Ich fand mich in einer Gruppe aus ausgesprochen trägen, dafür aber besonders unwitzigen Patienten wieder – Jabba, the Hutt und seine zahlreichen Geschwister, und alle durch die Bank mit einem Schlaganfall vorgewarnt, dass das gesunde Dasein keine Selbstverständlichkeit ist. Bei jeder neuen Übung, die die Therapeutin vorschlug, gab es ein kollektives Gejammer … »Das ist aber so anstrengend «, »Lohnt sich das überhaupt noch, die Stunde ist doch gleich vorbei!«, »Das kann ich nicht machen, ich hab Arm/Schulter/Bein/Rücken« … Fehlte nur noch »Mama, wie lange noch?« und »Mama, ich muss aufs Klo.« Vor uns, mit Eselsgeduld, die Therapeutin, die unermüdlich auch die Faulsten unter uns versuchte zu aktivieren.

Verrückt, dachte ich, da hat jemand seine Berufung darin gefunden, Menschen dabei zu helfen, die Kontrolle über ihren Körper zurückzugewinnen und erntet dafür nichts als pubertäre Sprüche und genervtes Gestöhne. Das könnte ich auf Dauer nicht aushalten, ohne dem ein oder anderen Patienten das Thera-Band ans Schlagi-Hirn schnalzen zu lassen. Wertschätzung jedenfalls sieht anders aus …

You’ve got cucumbers on your eyes
Too much time spent on nothing waiting for a moment to arise

… nämlich so: Am selben Tag vormittags präsentierte ich Neukunden einen gemeinsam mit einer fähigen Kollegin erarbeiteten Entwurf. Als ich mit der Vorstellung unseres Konzepts endete, schlug mir eine Welle von Wohlwollen, Beeindrucktsein und eben Wertschätzung entgegen. Nicht nur gefiel Ihnen, was sie sahen, sie fanden sich und ihre Dienstleistung angemessen attraktiv dargestellt. Und sie waren sich nicht zu fein, mich das auch wissen zu lassen. (Habe ich schon mal erwähnt, dass ich die allerbesten Kunden der Welt habe? Alles Lieblingskunden!)

Vor meinen unermüdlichen, immer motivierten Therapeuten ziehe ich den Hut. Und bezüglich meiner Berufung ist es eben so: Der Designer rettet keine Leben, seine Arbeit hilft nicht mal bei Schlaganfall (es sei denn, er entwirft ein STROKE-Vorsorge-Plakat), und sie kann keine Krankheiten heilen. Aber: Wir Designer vermögen es, die Welt ein bisschen schöner zu machen.
Und was mich ganz persönlich betrifft: Ich kann eben einfach auch nichts anderes.

I’m very good with plants
When my friends are away they let me keep the soil moist

When I grow up | Fever Ray
Und auf der Spotify-Playlist