Raus mit der schlechten Luft, rein mit der guten …

Es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen »Ich mach das.« und »Ich mach das, so lange es noch geht.« Fünf Worte, ausgesprochen von einer Krankheit, die niemand nach ihrer Meinung gefragt hat. Die sich einmischt in meine Lebensplanung. Die mitreden will, sich sogar lautstark Gehör verschafft, wenn ich über meine mittel- und langfristigen Ziele nachdenke.

Hals über Kopf in ein Feuergefecht, das Herzen zerreißt und Gefühle vereist …

Wir hatten ja vereinbart: Kein Jammerblog. Und dennoch war der gestrige Tag auf so unangenehme Weise eindrücklich und dabei doch nur ein typisch schlechter Tag, dass ich das Gefühl habe, ihm ausreichend Aufmerksamkeit schenken zu müssen … Ihr Lieben, da müssen wir jetzt gemeinsam durch.

Mit dem Schmerz in der Brust, der Bewusstseinsverlust und ein Schrei nach dem Sinn …

Mit Schmerzen im Bein begann schon der frühe Morgen. Der Krake, klar. Wir haben uns auf merkwürdige Weise aneinander gewöhnt. Er braucht mich, aber ich ihn nicht, und wenn er befürchtet, ich könne ihn vergessen, übertreibt er es ein bisschen mit seiner engen Umarmung. Ich habe inzwischen erfahren, dass die Schwankungen normal sind. Ich hasse die Tiefpunkte deswegen nicht weniger. Zumal sie nicht nur Kontrolle über meinen Körper beanspruchen, mich langsam und unbeweglich machen – mein ganzes Denken kreist um die Krankheit und deren mögliche Entwicklung. Ich bin nicht weinend aufgewacht. Bis zu den ersten Tränen habe ich etwa sechzig Sekunden gebraucht.

Bring mich irgendwo hin wo man Zeit überwindet, wo die Trauer verschwindet für einen Moment …

Während ich versuche, den Tag möglichst routiniert zu absolvieren, ist meine Seele in höchster Alarmbereitschaft. Ich achte darauf, zu keinem Augenblick  zum Nachdenken zu kommen, weil dann der Hirnfasching Besitz von mir zu ergreifen droht. Bilder von Schnabeltassen, Rollatoren, das Gefühl, allen zur Last zu fallen mit meiner unendlichen Langsamkeit, eine enorme Angst, die Verschlechterung könnte trotz aller Bemühungen, der Krankheit Herr zu werden, früh eintreten (und überhaupt: Was von den ganzen Beschwerden ist denn nun Symptom, und was ist eine Nebenwirkung der Drogen, die meinem Körper die Ausschüttung von Glückshormonen vorgaukelt?) … Ein Füllhorn an beunruhigender Gedanken, die dafür sorgen, dass ich in der S-Bahn bei Fahrt durch den Untergrund meine Sonnenbrille aufsetze, damit mich niemand heulen sieht.

Bring mich irgendwo hin, wo die Wunden verheilen und ich einfach verschwinde …

Die Aphorismen (»Nie aufgeben!«) am Nachmittag können mein Innerstes genauso wenig aufrichten wie die Begegnung mit einem anderen Parki, der schon das nächste Stadium erreicht hat, oder bilde ich mir nur ein, dass ich noch besser beieinander bin? … Und diese Frage wird der Anführer der nächsten Polonaise meiner Hirnfaschingsparty, zu der die Krankheit offensichtlich eine öffentliche Facebookeinladung gepostet hat. Danke dafür. Und herzlich willkommen. Irgendwie schaffe ich es, dennoch nach außen mein Gesicht zu wahren …

Mich konzentrier und mich selbst überwinde, nach vorne zu sehen, wieder aufrecht zu gehen

Den ganzen Tag über habe ich eigentlich so gute Erfahrungen gemacht – seien es wohlwollende Kunden am Telefon, berührende Mails und Kommentare oder Kurznachrichten voller Zuneigung. Nichtsdestotrotz sitze ich nach einem Versuch der Kurzurlaubsplanung meines Liebsten und mir (»Machen wir das?« oder »Machen wir das, so lange es noch geht?« oder »Geht das überhaupt noch?«) schluchzend am Esstisch und kann eine verdammt lange Zeit nicht damit aufhören. Der Blick in den Spiegel am Samstagmorgen suggeriert, dass  ich schiele, weil meine Augen so geschwollen sind. Ich finde, dass das scheiße aussieht und erkläre den Samstag trotz Schmerzen und Muskelsteife zu einem guten Tag.

Aufstehen und Weitergehen

Raus mit der schlechten Luft, rein mit der guten | Mikroboy
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