In the waiting line

An sich wollte ich heute nichts schreiben. Und wenn, dann über die »Schlagis« in der Reha (so nenne ich heimlich die Schlaganfallpatienten), über Schicksale und über Unterstützung. Aber eigentlich wollte ich heute nichts schreiben.

Und dann hatte ich ein Erlebnis an der Kasse im Supermarkt.

An übernächster Stelle vor mir in der Warteschlange stand eine Frau mit stark verkürzten Armen – ihre Hände begannen direkt an der Schulter. Sie war mir vorher im Laden schon immer wieder begegnet, und ich fand sehr bewundernswert, wie sie mit ihrem Handicap umging, mit aller Selbstverständlichkeit die Verkäufer um Hilfe bat und dabei höchst vergnügt war.

Selbstredend war auch die Kassiererin höchst hilfsbereit und freundlich zu ihr, packte ihr die Einkäufe in die Tasche und zählte das Geld für sie heraus. Der nachfolgenden Kundin erzählte die Kassiererin dann noch, als wie großartig sie empfindet, wie die armlose Kundin ihr Leben meistert. Ganz Feuer und Flamme war sie.

Dann war ich dran.

Ich sehe gesund aus, man sieht mir das Kranksein nicht an. Dennoch habe ich Symptome, die mir ganz alltägliche Dinge erschweren. Dazu gehört beispielsweise die Bradykinese – eine Verlangsamung der Motorik auf der rechten Seite. Dazu gehört auch eine Verschlechterung der Feinmotorik auf der betroffenen Seite. Und manchmal habe ich Schwierigkeiten, Bewegungen auszuführen wie z.B. dem Greifen nach Gegenständen. Freezing heißt das. Michael J. Fox beschreibt das so:

»I could be sitting here with my foot on fire and a glass of water over there on the table and all I’d be able to do is think about how good it would feel to pour that water on my foot.«

Diese Einschränkungen ziehen Verhaltensveränderungen nach sich: Man zahlt nur noch mit Scheinen, und zuhause sammelt sich das Kleingeld, weil man es im Laden eben nicht aus dem Geldbeutel gefummelt kriegt. Oder man zahlt mit Karte. So wie ich heute abend – 8,67 €. Ich habe schon zur Begrüßung kein Lächeln von der eben noch so freundlichen Kassiererin bekommen, aber als ich den überschaubaren Betrag mit Karte zahlte und auf den ersten Blick den Kartenschlitz nicht gesehen habe, hat sie mir ihre Missbilligung deutlich durch hochgezogene Augenbrauen gezeigt. Noch genervter war sie, als ich meine drei Einkäufe nicht in die Stofftasche gezwungen bekam; mich wundert es, dass sie nicht konsequenterweise gefragt hat, ob ich eigentlich endlich gehen kann. Mit guter Laune hatte ich den Supermarkt betreten, frustriert und verunsichert verließ ich ihn.

Das unterschiedliche Behandeln zweier Kunden ist natürlich höchst fragwürdig – gelinde gesagt. Dass ich krank bin, kann eine Kassiererin aber ja auch nicht wissen. Ich habe überlegt, ob ich meinem Gegenüber jetzt jedesmal sagen muss »Ich habe Parkinson!«, wenn ich Dinge nicht im gesellschaftlich als angemessen festgelegten Tempo erledigen kann. Die Erwartung – die anderer, aber auch meine eigene – macht mich fertig. Und den selbstbewussten Umgang mit solchen Situationen muss ich offensichtlich erst lernen. Alternativ entwickle ich frühzeitig einen anständigen Tremor, damit garantiert jeder sieht, dass mit mir etwas nicht stimmt …

Ich habe übrigens T-Shirts in Auftrag gegeben mit dem Aufdruck www.parkinsonparty.de … zum Draufzeigen … just sayin’ …

Song zum Blogpost:

In the waiting line | Zero 7