Berlin …

Berlin, Oktober 2015. Mein Sohn und ich entern ein hippes Frühstückscafé: Sojalatte mit Karamell, dazu Rosinen-Granola hausgemacht, alles biologisch-dynamisch und garniert mit der schlechten Angewohnheit, auch über 40-jährige mit »Du« anzusprechen.

Wir haben den Abend zuvor den runden Geburtstag meiner allerliebsten Lieblingsfreundin gefeiert, heute wollen wir den Tag gemütlich angehen. Ich stehe am Tresen, versuche einen stinknormalen Milchkaffee zu bekommen und lasse meinen Blick schweifen, während zwei Studenten sich der schwierigen Aufgabe widmen und vierhändig den Apparat für koffeinhaltige Heißgetränke bedienen.

Ich hebe meinen Kopf, um die Galerie des Cafés aus der Ferne zu begutachten und stelle überrascht fest: Den Typen da oben kenne ich. Erinnerungen schießen mir in den Kopf, an durchwachte Nächte, an Espresso und Wodka im Wechsel, an Stunden voller Erzählungen (erfundene, erlebte, vorgelesene), an die Verwunderung darüber, was das Leben an Merkwürdigkeiten bietet. Odysseus und die Elfe verstrickt in Worte.

Ich freue mich ihn zu sehen und will mir selbstredend einen kleinen Witz erlauben. Ich wähle seine Nummer und bereite mich vor auf das Aufsagen des Satzes »Schau mal runter!«. Sein Telefon vibriert, er nimmt es auf, blickt auf das Display und … drückt mich weg.

I‘m runnin …

Vor wenigen Tagen, fünf Jahre später, wache ich aus einem Traum auf, in dem ich in parkinsonschem Schneckentempo versuche, auf eine Handvoll Menschen zuzugehen. Vergebens – meine lahme und bucklige Gangart macht mich unsichtbar, man läuft einfach an mir vorbei, und Odysseus ist einer der Passierenden.

Ich quäle mich aus dem Bett.

I‘m runnin slow …

Ich gehe unter die Dusche und versuche, nicht an das Aufschäumen von Shampoo zu denken, weil mein Körper dann genau diesen Dienst versagt. Stattdessen dessen kreisen meine Gedanken um nicht vollzogene Abschiede und deren Auswirkungen. Abschiede, bei denen keiner die Tür schließt, sondern der Spalt nur immer kleiner wird. Ich scheitere mit meinen Bemühungen, mir die Haare zu waschen, bin gleichzeitig irgendwie verärgert über den Mist, den ich geträumt habe und erwäge, einige Türen mit der mir verbleibenden Kraft zuzutreten.

Ich entscheide mich dagegen, soll doch der nächste Windzug dafür sorgen. Ich übergebe dem heute deutlich überlegenen Kraken die Kontrolle über meinen Körper und lasse den Tag kommen.

I‘m runnin slow slow slow … got nowhere to go …

Ganz flink nach Berlin | Modeselektor feat. Miss Platnum
… ganz langsam auf der Spotify-Playlist