Deacon Blues …
Auf einmal steht man da und muss was sagen …
Was sagt man denn an so einem Abend?
Ich stehe wortwörtlich IM Eingang der Galerie und bin ganz plötzlich von Gast zu Gastgeberin mutiert. Die Dämmerung lässt immer mehr von dem magischen Lichtspektakel jenseits der Scheiben hinter mir ahnen. Blaue Strahlen formen sich zu Gebilden, die sich weich auf die Unebenheiten der grauen Wände legen, oder sie muten an wie scharfe Klingen, die zu gerne tiefe Kerben in den rohen Beton fräsen wollen. Die Gäste schauen von außen nach innen, schauen durch mich hindurch.
This is the day of the expanding man
That shape is my shade, there where I used to stand
It seems like only yesterday I gazed through the glass
At ramblers, wild gamblers
That’s all in the past
Ich lehne an Glas, ich habe Glas im Rücken, Transparenz allenthalben … Und je länger ich spreche, desto durchlässiger werde auch ich.
So eine Ansprache hat einen streng strukturierten Aufbau: Erst mal die Aufmerksamkeit der Gäste bündeln, Begrüßung, ein paar Worte zum Anlass, Danksagungen, etwas tieferer Inhalt zum Anlass (das ist die Stelle, wo bei Vernissagen irgendwo das Wort „tradiert“ auftaucht) und dann: Viel Spaß.
Idealerweise alles möglichst bekömmlich formuliert, mit Witz und Unterhaltungswert. Schließlich ist es Freitagabend.
You call me a fool, you say it’s a crazy scheme
This one’s for real, I already bought the dream
So useless to ask me why
Throw a kiss and say goodbye
I’ll make it this time – I’m ready to cross that fine line
Ich beende mehr oder minder entspannt die Danksagungen.
»Und jetzt kommt der ernste Teil …«, leite ich ein und merke, wie mir die Stimme wegbricht.
Nur ganz leicht – ich bilde mir ein, man müsse mich sehr gut kennen, um die Fragilität der gesprochenen Worte wahrzunehmen.
Mir wird klar, mir ist klar: Da stehen Bekannte, Freunde, Fremde und sehen uns an: Mich und meinen Kraken: Auch, wenn sie nur einen kleinen Fangarm sehen, werden jetzt alle konfrontiert mit meiner Krankheit, meinem Versehrt-Sein und dem unendlich großen Wunsch, einfach nur gesund zu sein.
My back to the wall
A victim of laughing chance
This is for me the essence of true romance
Sharing the things we know and love with those of my kind
Libations, sensations that stagger the mind
Mit meiner leicht rauen Stimme hebe ich an, weiterzusprechen und mich samt Krake allen zuzumuten.
»Arschbombeeeee!« ruft ein Teil von mir – glücklicherweise nur in mich hinein.
Gleich werde ich den nächsten Satz sagen und mancher Gast wird im Nachgang auf mich zukommen,
sich berührt zeigen von meiner Offenheit und sich bedanken sich für meine Emotionalität.
I’ll rise when the sun goes down
Cover every game in town
A world of my own
I’ll make it my home sweet home
Es braucht Vertrauen in die Zuhörenden.
Es braucht innere Stärke, zu offenbaren, dass und wo wir verletzlich sind.
Und es braucht Rückendeckung: Einen Sohn beispielsweise, der in einer solch heiklen Situation im Fensterlabyrinth beharrlich schräg hinter uns steht …
Ich atme tief ein. Ich hätte gerne einen Drink. Ich denke: Es ist, wie es ist.
Und ich beginne mit dem ernsten Teil:
This is the night of the expanding man
I take one last drag as I approach the stand
I cried when I wrote this song
Sue me if I play too long
This brother is free
I’ll be what I want to be
»Parkinson ist mehr als zitternde alte Männer. Parkinson, das bin auch ich.«
I’ll learn to work the saxophone – I play just what I feel
Drink Scotch whiskey all night long and die behind the wheel
They got a name for the winners in the world
I want a name when I lose
They call Alabama the Crimson Tide
Call me Deacon Blues
Deacon Blues | Steely Dan
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